Elf Sterne, zwölf Monate und das misslungene sprachliche Bild
- Sandra Göbel
- 1. Feb. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Feb. 2024

Folgenden Satz hatte ich letztens aus dem Arabischen zu übersetzen:
فاختار الله كوكبًا من بين أحد عشر كوكبًا من الشهور، فكان شهر رمضان هو محطة إنزال القرآن.
Dem Wortlaut nach übersetzt etwa: „Und so erwählte Allah aus elf Sternen unter den Monaten den Monat Ramadan, um den Koran herabzusenden.“
Das Problem springt direkt ins Auge: Es sind elf Sterne, Monate gibt es allerdings zwölf. (Ja, auch nach islamischer Zeitrechnung!) Richtiger hätte der Autor Allah also aus zwölf Sternen unter den Monaten den Monat Ramadan erwählen lassen müssen. Wobei offen bliebe, welche Sterne gemeint sind und was diese Gleichsetzung von Monaten mit Sternen überhaupt soll. Im Zweifelsfall wäre es halt eine typisch arabisch-verschnörkelte Formulierung, die man als Übersetzer entweder, so wie oben, übernimmt – allenfalls zahlenmäßig korrigiert – oder vielleicht auch lieber auslässt und lediglich dem Sinn nach übersetzt: „Und so erwählte Allah aus zwölf Monaten den Monat Ramadan, um den Koran herabzusenden.“ Was eine absolut zulässige Lösung ist – je nachdem, wie viel orientalisches Flair man dem Leser eben zumuten mag.
Wenn man als fachkundiger Übersetzer aber immerhin schon so viel verstanden hat, dass der Autor hiermit ein koranisches Bild aus Sure 12 aufgreift, nämlich den Traum des Propheten Yusuf, in welchem er sieht, wie Sonne, Mond und elf Sterne sich vor ihm niederwerfen, bleibt trotzdem immer noch das Zahlenproblem – was wiederum nur dann eines ist, wenn man sich am Wortlaut festbeißt, denn faktisch sind es ja insgesamt zwölf Brüder, von denen einer eben diesen Traum hatte.
Also greift man beherzt ein und korrigiert eigenmächtig: „So wie Allah einst aus zwölf Brüdern den Yusuf erwählte, erwählte Er aus zwölf Monaten den Monat Ramadan, um in ihm den Koran herabzusenden.“ Zwar sind hiermit die Sterne ganz raus, aber inhaltlich gibt man genau das wieder, worum es dem Autor ging, und das Bild ist endlich stimmig.
Inwieweit ein derartiger Eingriff zulässig ist, und ob er ggf. mit einer Fußnote versehen werden sollte, muss jeder Übersetzer immer wieder neu entscheiden, denn die Maxime ist und bleibt: So eng wie möglich, so frei wie nötig.
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